Steckbrief: Fachgutachten in der Bauleitplanung
Mikroklima, Durchlüftung, Niederschlag und Windkomfort vertiefend untersuchen
Ziel
Anhand von Praxisbeispielen stellt der Steckbrief vier Typen von Fachgutachten vor, mit denen Sie Handlungsbedarfe zur Klimaanpassung sichtbar machen können. Sie erhalten einen Überblick über mögliche Inhalte der Gutachten und unterschiedliche Anwendungsfälle je nach Verfahrensstand der Bauleitplanung.
Für
- Kommunale Verwaltung (v. a. Umwelt-, Klima- und Planungsfachstellen)
- Freie Planer:innen (v. a. Landschaftsarchitektur und Stadtplanung)
- Bauherr:innen und Projektentwickler:innen
Fallbeispiel: Niederschlagsgutachten zur Entwicklung eines Schwammstadtkonzepts (München-Riem)
Eine 25 Hektar große Freifläche in der Messestadt Riem soll bebaut und als Schwammstadt gestaltet werden. Für einen naturnahen Wasserhaushalt sieht der Siegerentwurf des Architekturbüros 03 arch zusammen mit Studio Vulkan verschiedene Bausteine vor, u. a. Dachbegrünung und Muldenversickerung. Die Stadtverwaltung ließ den Entwurf gutachterlich prüfen:
- Methodik: Langzeitsimulationen zur Regenwasserbewirtschaftung, -rückhaltung und -behandlung mit der Software KOSIM sowie eine Wasserbilanz für das gesamte Gebiet mithilfe des Planungstools WABILA, das die Einflüsse von Siedlungsgebieten auf den Wasserhaushalt ermittelt
- Ergebnis: Die privaten und öffentlichen Sickerflächen sind groß genug, um einem extremen Starkregenereignis mit einer Wiederkehrzeit von 100 Jahren (T=100a) standhalten zu können.
- Vorschläge zur Optimierung des Entwurfs: weitere Elemente wie die multifunktionale Flächennutzung, offene Wasserflächen, Fassadenbegrünungen und Zisternen
Abb. 1: Flächenermittlung und Lageplan: Modellierungsergebnisse für die Dimensionierung privater und öffentlicher Sickerflächen, Messestadt Riem (Ausschnitt).
„Vertiefende Gutachten liefern für klimatisch sensible Gebiete konkrete Bewertungen und Planungshinweise, um Quartiere klimaangepasst zu entwickeln. Ausgehend von den modellgestützten, quantitativen Ergebnissen können Planer:innen weitergehende Entscheidungen treffen und Entwürfe optimieren.“
Dr. Teresa Zölch
Referat für Klima- und Umweltschutz, Landeshauptstadt München
Wann fließen Fachgutachten in die Bauleitplanung ein?
Klimaanpassung ist ein wichtiger Bestandteil des Bauleitplanverfahrens. Als Klimaanpassungsbelange sollten Sie u. a. das Stadt- und Mikroklima, den nachhaltigen Umgang mit Regenwasser, die Starkregenvorsorge sowie den Windkomfort berücksichtigen. Auf gesamtstädtischer Ebene liegen meist bereits Grundlagendaten wie Klimaanalysekarten oder Starkregengefahrenkarten vor. Ergänzend dazu liefern Fachgutachten Vertiefungen und wichtige Planungshinweise.
- Sie können Fachgutachten fordern, wenn:
- relevante Grundlagendaten für das Planungsgebiet nicht oder nicht in ausreichender Detailtiefe verfügbar sind,
- gebietsspezifische Besonderheiten oder Sensitivitäten bezüglich bestimmter Klimanapassungsbelange vorliegen,
- verschiedene Planungsvarianten bewertet werden sollen,
- eine fachlich zuständige Behörde bzw. Dienststelle Gutachten anfordert,
- sich in Stadtratsbeschlüssen, -anträgen oder Öffentlichkeitsbeteiligungen der Bedarf ergibt.
Klimaanpassung im Bebauungsplan verankern
In welchen Phasen der Bauleitplanung Sie Klimaresilienz und Stadtgrün verankern können, zeigt dieser Leitfaden zur verbindlichen Bauleitplanung. Darin finden Sie auch eine kurze Checkliste, um zu überprüfen, wie klimaorientiert Ihr Bebauungsplan ist.
Drei Schlüsselmomente im Verfahren:
- Die Grundlagenermittlung im Rahmen der informellen Bauleitplanung ist der wichtigste Zeitpunkt zur Integration von Klimaanpassungsbelangen. In sensiblen Gebieten sollten Sie daher bereits in dieser Phase Gutachten erstellen lassen und deren Planungshinweise aufgreifen, damit sie später in die Planung einfließen.
- Bewertung von Wettbewerbsentwürfen: Integrieren Sie die durch Gutachten festgestellten Anforderungen in den Auslobungstext. Beauftragen Sie auch im weiteren Wettbewerbsverfahren Gutachten, um verschiedene Planungsvarianten hinsichtlich der jeweiligen Klimaanpassungsbelange bewerten zu können.
- Bei der Entwurfsplanung des Bebauungsplans mit Grünordnung können kleinere Optimierungen teilweise noch eingearbeitet werden, etwa durch konkrete Maßnahmenvorschläge des Gutachters. Demgegenüber können flächenbeanspruchende Maßnahmen, wie etwa die Freihaltung von Durchlüftungsachsen, hier in der Regel nicht mehr berücksichtigt werden.
Anforderungen an erfolgreiche Fachgutachten:
- Anerkannte Methoden und Bewertungsmaßstäbe sind Voraussetzung dafür, dass die Gutachtenergebnisse von Projektbeteiligten nicht angezweifelt werden und der Bebauungsplan im äußersten Fall gerichtsfest ist.
- Orientieren Sie sich daher an den einschlägigen Regelwerken und Richtlinien (z. DIN-Normen, VDI-Richtlinie etc.). Neben methodischen Vorgaben zeigen diese Werke teilweise auch Bewertungsmöglichkeiten und -maßstäbe auf.
- Vergeben Sie die Fachgutachten passend zu den Schlüsselmomenten des Planungsprozesses und bereiten Sie die Ergebnisse zielgruppengerecht (für Stadtplaner:innen bzw. Landschaftsarchitekt:innen) auf.
Zu erwartende Kosten:
Kalkulieren Sie die Kosten für vertiefende Gutachten frühzeitig ein. Sie bewegen sich erfahrungsgemäß in einem Rahmen von mind. 20.000 bis 50.000 € und setzen sich aus den folgenden Aspekten zusammen:
- gewählte Methodik
- Untersuchungsschwerpunkt
- verfügbare Grundlagendaten
- Größe des Untersuchungsraums (Simulationsdomäne)
- räumliche Auflösung der Simulation
- Anzahl der Modellläufe (Planungsentwürfe)
Vier Gutachtentypen für die klimaangepasste Planung
1. Durchlüftungsgutachten
Besonders bei Hochdruckwetterlagen mit geringen Windgeschwindigkeiten verstärkt sich der städtische Wärmeinseleffekt und es kann zu hohen Hitzebelastungen in Siedlungsbereichen kommen. Die Durchlüftung ist essenziell für die nächtliche Abkühlung in überwärmten Bereichen. Insbesondere in stadtklimatisch sensiblen Gebieten sollten Sie die klimatische Wirksamkeit (das Kaltluftprozessgeschehen) von Grün- und Freiflächen sicherstellen – v. a. die Entstehung und den Abfluss von Kaltluft. Mit Durchlüftungsgutachten können Sie planerische Maßnahmen vorschlagen, die bei Planungsvorhaben den groß- und kleinräumigen Luftaustausch sowie die bioklimatische Situation verbessern – bzw. eine vorhabenbedingte Verschlechterung vermeiden.
Erhalt der nächtlichen Durchlüftung im Planungsgebiet Messestadt Riem 5. Bauabschnitt (München)
Ein Fachgutachten im Rahmen der Grundlagenermittlung zum 5. Bauabschnitt in München-Riem erarbeitete folgende Planungshinweise (Abb. 3): Eine durchgängige Grünfuge in Süd-Nord-Ausrichtung (A) soll den übergeordneten Luftaustausch sichern, während Grünfugen in Ost-West-Richtung (B) die Anbindung der Bestandsbebauung an den Riemer Park ermöglichen. Auch die südliche Abstandsfläche dient der nächtlichen Kaltluftentstehung und -zufuhr. Diese Aspekte müssen insbesondere bei der Ausrichtung und Struktur der Gebäude im Entwurf beachtet werden. Die Karte basiert auf Modellergebnissen für den nächtlichen Kaltluftvolumenstrom sowie das bodennahe Windfeld (Abb. 2) und wurde im Auslobungstext des Wettbewerbsverfahrens veröffentlicht.
Abb. 2: Nächtlicher Kaltluftvolumenstrom und bodennahes Windfeld des Planungsgebiets, modelliert mit dem Modell FITNAH-3D für 4 Uhr nachts bei Südwestanströmung.
Abb. 3: Räumliche Darstellung der Planungshinweise zur Sicherung der übergeordneten nächtlichen Durchlüftung im Planungsgebiet Messestadt Riem, 5. Bauabschnitt.
Was Sie über Durchlüftungsgutachten wissen sollten:
Geeignete Fragestellungen und Schwerpunkte der Gutachten …
… bei der Grundlagenermittlung
- Hauptsächlich im Neubau auf Grün- und Freiflächen: Wie wirkt sich eine mögliche Bebauung auf das Kaltluftprozessgeschehen (stadtklimatische Situation und Sensibilität) aus?
- Wie lassen sich Strömungshindernisse minimieren? Welche Flächen bzw. Korridore sind freizuhalten und welche Vorgaben zur Gebäudedichte, -ausrichtung oder -platzierung (z. B. parallel zur Windrichtung) sind festzulegen?
… im Wettbewerbsprozess
- Welcher Planungsentwurf wirkt sich am geringsten auf das Kaltluftprozessgeschehen aus?
- Welche Optimierungspotenziale sind im weiteren Planungsverlauf zu beachten?
… bei der Entwurfserarbeitung
- Wie kann die bauliche Dichte, die Gebäudeausrichtung und -platzierung weiter optimiert werden? Müssen für die lokale Durchlüftung zusätzliche größere (zusammenhängende) Grünflächen oder Grünfinger freigehalten werden?
Methodische Herangehensweise
Folgende Merkmale zeichnen Durchlüftungsgutachten aus:
- Nutzung von numerischen (Stadtklima-)Modellen wie FITNAH3D, KLAM_21 oder PALM4U mit hoher räumlicher Auflösung (dx < 10 m)
- autochthone Wetterlage als meteorologische Randbedingung (austauscharme Hochdruckwetterlage mit geringen Windgeschwindigkeiten und hoher Hitzebelastung)
- Eingangsdaten: Topographie, digitales Oberflächen- und Geländemodell, LOD1 oder LOD2-Daten der Gebäude, Luftbilder (RGB und CIR) z. B. für Vegetation und Versiegelung
- Bewertungsgrundlage: großflächige Abnahme des Kaltluftvolumenstroms um mehr als 10 % in Siedlungsräumen (nach VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5)
Typische Ergebnisse der Begutachtung
- Bewertungsparameter: Kaltluftvolumenstrom, Windfeld und Lufttemperatur in 2 m Höhe zum kältesten Zeitpunkt, z. B. um 4 Uhr; ggf. auch thermischer Komfort während Hitzebelastung, z. B. um 14 Uhr.
- Kartenoutput: Absolute Werte des Ist- und Planzustands und eine Planungshinweiskarte. Zusätzlich soll die Differenz zwischen Ist- und Planzustand in Prozent dargestellt werden, um eine Bewertung nach VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 zu ermöglichen.
Beauftragung
Beauftragen Sie Gutachterbüros mit Expertise im stadtklimatologischen Bereich.
2. Mikroklima-Gutachten
Mit einem Mikroklima-Gutachten können Sie in bioklimatisch hoch bzw. sehr hoch belasteten Siedlungsräumen sowie Gebieten mit sensibler grüner Infrastruktur (z. B. Altbaumbestand) kleinräumige Überwärmungen und den Bedarf für Anpassungsmaßnahmen identifizieren. Die Gutachten unterstützen dabei, die Kühlwirkung von lokalen Maßnahmen – insbesondere im Bereich grüner Infrastrukturen – und von Entwurfsvarianten zu bewerten.
Kühlleistungen des Altbaumbestands im Vergleich zu Neupflanzungen bei Nachverdichtung im Sanierungsgebiet Moosach (München)
Die Technische Universität München berechnete in der Grundlagenermittlung, wie sich Baumfällungen auf die gefühlte Temperatur im Außenraum auswirken würden.1 Abbildung 4 stellt die modellierten PET-Werte (Physiologisch Äquivalente Temperatur) an einem Sommertag um 14 Uhr räumlich dar. Sie vergleicht verschiedene hypothetische Szenarien, hier eine Nachverdichtung über Aufstockungen bestehender Gebäude. Die Aufstockung um zwei Geschosse geht gemäß des lokalen Stellplatzschlüssels mit der Errichtung von drei zusätzlichen Tiefgaragen einher. Links ist der Ausgangszustand dargestellt. Mittig und rechts entfällt der Altbaumbestand durch den Bau von drei neuen Tiefgaragen in jedem zweiten Innenhof – zunächst ohne Nachpflanzungen, dann mit Jungbäumen nach fünf Jahren und rechts mit nachgewachsenen Bäumen nach ca. 50 Jahren.
Die Wirkung der Altbäume auf den thermischen Komfort zeigt sich deutlich: Wenn der Baumschatten ganz fehlt oder unter den Jungbäumen nur gering ausfällt, erfährt man in den betroffenen Innenhöfen einen hohen Hitzestress (siehe rote Flächen).
Was Sie über Mikroklima-Gutachten wissen sollten:
Geeignete Fragestellungen und Schwerpunkte der Gutachten …
… bei der Grundlagenermittlung
- Bei der Siedlungsentwicklung: Wo gibt es bereits thermisch hochbelastete Räume? Welche vorhandenen grünen Infrastrukturen, v. a. Altbäume, sind aus klimatischer Sicht besonders erhaltenswert? Wo mangelt es an klimawirksamem Stadtgrün?
… im Wettbewerbsprozess
- Wie wirken sich die unterschiedlichen Planungsentwürfe klimatisch aus? Wie ist die geplante Grünausstattung zu bewerten und wo gibt es Optimierungspotenziale?
… bei der Entwurfserarbeitung
- Was leisten die verschiedenen Begrünungsmaßnahmen und deren Kombination für das Mikroklima? Wie kann die Wirkung weiter optimiert werden?
Methodische Herangehensweise
Folgende Merkmale zeichnen Mikroklima-Gutachten aus:
- Die genutzten mikroklimatischen Modelle, z. B. ENVI-met, Asmus Green oder PALM-4U, können die Strömungsmechanik numerisch abbilden. Sie sollten Interaktionen zwischen Atmosphäre, Boden, gebauter und grüner Infrastruktur simulieren können. Vegetationsstrukturen sollten nicht nur als 3D-Körper abgebildet werden, sondern mit ihren physiologischen Eigenschaften, und über lange Simulationszeiträume sichtbar sein.
- Mit einer hohen räumlichen Auflösung von 1–5 m werden Einzelstrukturen detailliert abgebildet.
- Eingangsdaten:
- Topographie, Bodenbeschaffenheit, räumliche Daten zur gebauten und grünen Infrastruktur (3D-Informationen)
- meteorologische Daten zu einem typischen Hitze- bzw. Sommertag
- Bewertungsgrundlage: Bewertungsskala zu Wärmeempfinden, gemäß Tabelle aus VDI 3787 Blatt 2
Typische Ergebnisse der Begutachtung
Bewertungsparameter:
- thermischer Komfort im Außenraum über Indices wie PET, UTCI
- Lufttemperatur, lokales Windfeld, Luftfeuchte, Strahlungstemperatur und Oberflächentemperatur
- alle Parameter zum Zeitpunkt der höchsten Hitzebelastung, z. B. um 14 Uhr
- Darstellung als absolute oder relative Werte (u. a. als Durchschnitt über Planungsgebiet, Minima/Maxima, Flächenbilanzen)
Kartenoutput:
- für absolute Parameter oder als Differenzdarstellung zwischen Istzustand / Planungsnullfall und Varianten
- Planungshinweiskarten
Beauftragung
Beauftragen Sie Gutachterbüros mit Expertise im stadtklimatologischen Bereich sowie Ökophysiologie von Pflanzen und der Gebäudetechnik.
3. Niederschlags-, Starkregen- und Schwammstadt-Gutachten
Durch die Bebauung und den damit steigenden Versiegelungsgrad verändert sich der Wasserhaushalt im Planungsgebiet: In der Regel nimmt der Oberflächenabfluss zu, während sich Verdunstung und Versickerung reduzieren. Ein vertiefendes Niederschlagsgutachten schlägt planerische Maßnahmen zur Annäherung an einen naturnahen Wasserhaushalt sowie zum Umgang mit Starkregen vor. Eine Begutachtung empfiehlt sich v. a. in wassersensiblen Gebieten, die z. B. durch hohen Grundwasserstand oder hohe Versiegelungsraten gekennzeichnet sind.
Auf dieser Grundlage können Sie Ihre Planung optimieren, indem Sie an den gutachterlich vorgeschlagenen Stellen versiegelte und unterbaute Flächen reduzieren und Schwammstadt-Maßnahmen umsetzen. Ziel ist es, das anfallende Niederschlagswasser im Planungsgebiet zurückzuhalten, zu versickern, zu speichern und Verdunstung zu fördern. Bei Extremwetterereignissen können Sie das Schadenspotenzial an der Infrastruktur etwa über Notwasserwege reduzieren.
Planungshinweiskarte für die Heltauer Straße (München)
Das geplante Neubaugebiet an der Heltauer Straße in München umfasst eine Fläche von ca. 16,35 ha. Für die Vorbereitung des Auslobungstextes führte das Büro Mayr Ingenieure erste Analysen zur hydrogeologischen Situation und Versickerungsfähigkeit durch. Die Daten zur Grundwassersituation und zu Grundwasserneubildungsraten und die durchgeführte Baugrunderkundung zeigen, dass eine Versickerung des anfallenden Niederschlagswassers im gesamten Planungsgebiet möglich ist. Die bestehende Topographie enthält in verschiedenen Bereichen des Planungsgebiets Senken (siehe hellblau umrandete Flächen), in denen sich Niederschlagswasser verstärkt sammeln kann. Diese Ergebnisse sollen in den Auslobungstext einfließen und stellen eine wichtige Grundlage für den weiteren Planungsprozess dar.
Abb. 5: Planungshinweiskarte mit Verortung von Geländesenken (blau umrandete Flächen) unter Berücksichtigung der Topographie im Ist-Zustand sowie Altablagerungen und Altstandorten in der Heltauer Straße.
Was Sie zu Niederschlags-, Starkregen- und Schwammstadt-Gutachten wissen sollten:
Geeignete Fragestellungen und Schwerpunkte der Gutachten …
… bei der Grundlagenermittlung
- Wie wirkt sich der Entwurf auf die Wasserbilanz aus?
- Wie sickerfähig sind Boden und Untergrund im Planungsgebiet im Ist- und Planzustand?
- Welche Planungshinweise leiten sich daraus ab – etwa zur Dimensionierung von Sickerflächen oder zur Notwendigkeit?
… im Wettbewerbsprozess
- Wie stark verändern die verschiedenen Planungsentwürfe den Wasserhaushalt?
- Wie kann der Wasserrückhalt verbessert und das Schadenspotenzial von Starkregenereignissen weiter reduziert werden? Welche Versickerungsflächen sind zu klein dimensioniert?
… bei der Entwurfserarbeitung
- Welche Optimierungspotenziale sollten im weiteren Planungsverlauf berücksichtigt werden?
Methodische Herangehensweise
Folgende Merkmale zeichnen Niederschlagsgutachten aus:
- Hochauflösende numerische Modelle berechnen hydraulische sowie hydrologische Strömungs- und Transportvorgänge und modellieren den Niederschlagsabfluss. Als Wasserbilanz-Modell eignet sich beispielsweise die Software WABILA, auf die im Anhang des Merkblatts DWA-M 102-4/BWK-M 3-4 hingewiesen wird.3
- Eingangsdaten:
- digitales Geländemodell, Orthofotos, Angaben zu den Untergrundverhältnissen – z. B. Bodenaufschlüsse, (hydro-)geologische Karten, Durchlässigkeitsbeiwerte (kf-Werte)
- Niederschlagsdaten (z. B. Jahresniederschlag, KOSTRA-DWDiv) und Verdunstungsdaten
- Bewertungsgrundlage:
- geltende Regelwerke (etwa DWA-M102-4, DWA-A138, DWA-M153)
- Überflutungsnachweis nach DIN 1986-100
- ggf. kommunale Vorgaben (die Münchner Entwässerungssatzung sieht z. B. die Entwässerung von Niederschlagswasser nicht über den Kanal vor)4
Typische Ergebnisse der Begutachtung
- Bewertungsparameter: Wasserbilanz, Verortung und Bemessung von Schwammstadt-Maßnahmen, Versiegelungsgrad, Grünflächenanteil etc.
- Kartenoutput: Karten zu Flächen mit Versickerungspotenzial, Verortung von Sickerflächen und Notwasserwegen, Planungshinweiskarten
Beauftragung
Beauftragen Sie Gutachterbüros mit einschlägigen Referenzen für Niederschlags-, Starkregen- und Schwammstadt-Gutachten. Bei der Erstellung der Fachgutachten sind die bereits genannten Regelwerke zu berücksichtigen.
4. Windkomfort-Gutachten
Je nach Form, Höhe und räumlicher Anordnung können Gebäude das städtische Windfeld beeinflussen. Dies kann, insbesondere bei einzelnen hohen Gebäuden, zur lokalen Verstärkung oder Abschwächung von Windgeschwindigkeiten führen. Windkomfort-Gutachten zeigen Ihnen, ob durch geplante Bauwerke Unbehaglichkeiten oder gar Gefahren in Aufenthaltsflächen entstehen, z. B. durch hohe Windgeschwindigkeiten. Daraus können Planungsempfehlungen zu Nutzungsmöglichkeiten bzw. -einschränkungen abgeleitet werden.
Was Sie zu Windkomfort-Gutachten wissen sollten:
Geeignete Fragestellungen und Schwerpunkte der Gutachten …
… bei der Grundlagenermittlung
- Wie können bestehende Nutzungen vor ungünstigen Windbedingungen geschützt werden?
- In welcher Form, Höhe und räumlicher Anordnung sollten geplante Gebäude platziert werden, um Windkomfort in den Aufenthaltsflächen sicherzustellen?
… im Wettbewerbsprozess
- Welche Nutzungsmöglichkeiten bestehen aus Windkomfortsicht in den Aufenthaltsflächen neu geplanter Siedlungsgebiete?
- Beeinträchtigt eine Planung bestehende oder neu geplante windempfindliche Nutzungen im Siedlungsgebiet, wie etwa Erholungsflächen, Außengastronomie, Spielplätze, Kindergärten, Einkaufsstraßen?
… bei der Entwurfserarbeitung
- Bestehen mögliche Nutzungseinschränkungen hinsichtlich Windkomfort, auf die planerisch eingegangen werden muss?
Methodische Herangehensweise
Folgende Merkmale zeichnen Windkomfort-Gutachten aus:
- Bewertungsgrundlage: VDI-Richtlinie 3787 Blatt 4 „Methoden zur Beschreibung von Stark- und Schwachwinden in bebauten Gebieten und deren Bewertung“
- Modellierung mit numerischen Strömungsmodellen oder Erhebungen in Windkanalversuchen. Windkanalversuche eignen sich gegenüber Modellierungen besonders bei komplexen Ausbreitungsvorgängen, wie z. B. großen topographischen Unterschieden.
- Eingangsdaten: langjährige, repräsentative Windstatistiken, räumliche Daten zur gebauten Infrastruktur (3D-Informationen)
- Bewertungsgrundlage: Windkomfortklassen und Tabellenwerke aus VDI-Richtlinie 3787 Blatt 4
Typische Ergebnisse der Begutachtung
- Bewertungsparameter: Ermittlung von Überschreitungshäufigkeiten kritischer Windgeschwindigkeiten
- Kartenoutput zu Windsituation bzw. -komfort im Planzustand sowie Planungshinweiskarten
Beauftragung
Beauftragen Sie Gutachterbüros mit einschlägigen Referenzen für Windkomfort-Gutachten und allgemeiner Expertise im Themenfeld Stadtklimatologie.
Softwarebasierte Planungstools für klimaangepasste Entwürfe
Um die Klimaanpassung in Planungsentwürfen zu überprüfen und zu fördern, können Sie während des Wettbewerbsprozesses oder der Entwicklung des Bebauungsplans auf verschiedene Planungstools zurückgreifen. Ziel dieser Planungstools ist es, Kommunen und Projektentwickler:innen unkompliziert und effizient auf dem Weg zu einer klimaangepassten Stadt zu unterstützen.
Hier zwei Beispiele:
GreenScenario von Ramboll Studion Dreiseitl untersucht die vier Themenbereiche Wasser, Freiraum und Grün, Hitze und Mikroklima sowie Wirtschaftlichkeit. Anhand der Analyse eines Entwurfs (Lageplan) und weiterer Daten zur Topographie und zum ortsbezogenen Klima werden verschiedene Szenarien entwickelt, um die Klimaanpassung zu optimieren. Die Szenarien umfassen jeweils verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der blauen und grünen Infrastruktur.
Ein ähnliches Planungstool stellt die Green Pass Toolbox der Greenpass GmbH dar. Sie umfasst vier Werkzeuge, die während verschiedener Phasen städtebaulicher Planungsprozesse angewendet werden können, von der Grundlagenermittlung über das Wettbewerbsverfahren bis zu einer Zertifizierung Ihres Projekts. Für eine solche Zertifizierung muss das Projekt ein Prüfverfahren durchlaufen, wobei die klimabezogene Aufenthalts- und Lebensqualität, die Wirtschaftlichkeit sowie die Wirkung des Projekts optimiert und bestätigt wird.
Planungstool oder Fachgutachten?
Softwarebasierte Planungstools stellen eine wichtige Ergänzung vorhandener Methoden im Bereich der klimaorientierten Stadtplanung dar. Dennoch ersetzen diese weder Expert:innen, die Verfahren über einen längeren Zeitraum begleiten, noch wichtige Grundlagen wie klimatische Gutachten.
Klimaresiliente Umgestaltung eines Platzes (Frankfurt)
- Erlwein, S.; Zölch, T.; Pauleit, S. (2021). Regulating the microclimate with urban green in densifiying cities: Joint assessment on two scales. Building and Environment, 205, S. 108233.
- Ebd.
- DWA-M 102-4/BWK-M 3-4 (2022). Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer – Teil 4: Wasserhaushaltsbilanz für die Bewirtschaftung des Niederschlagswassers, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef.
- Landeshauptstadt München (2018). Satzung über die Benutzung der Entwässerungseinrichtung der Landeshauptstadt München (Entwässerungssatzung – EWS). https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:a08dd09a-eeec-4a8b-ab98-12ee611fbde5/Entwässerungssatzung.pdf
- Biener, B. (08.08.2023). Grün statt Betonwüste: Ein klimaangepasster Platz für Frankfurt. https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/frankfurt-umgestaltung-des-paul-arnsberg-platzes-im-ostend-19089584.html
Hintergrund
Im Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“ erarbeiteten das Referat für Klima- und Umweltschutz sowie das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München Vorgehensweisen und Methoden, um Klimaanpassungsbelange stärker in die Bauleitplanung zu integrieren. Vertiefende Gutachten sind dabei ein wichtiges Instrument.
Impressum
Autor:innen:
Teresa Zölch
Kira Rehfeldt
Sebastian Maier-Reichart
Stefan Geiß
Referat für Klima- und Umweltschutz,
Landeshauptstadt München
Eva-Maria Moseler
Referat für Stadtplanung und Bauordnung,
Landeshauptstadt München
Stand: Oktober 2023
Redaktion: Antonia Sladek, IÖW
Herausgeber:innen:
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH, gemeinnützig
Potsdamer Straße 105, 10785 Berlin
kommunikation@ioew.de
Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)
Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München
bernhard.gill@lmu.de
Gestaltung:
Volker Haese, Dipl. Grafik-Designer, Bremen
Projekt:
„Grüne Stadt der Zukunft – klimaresiliente Quartiere in einer wachsenden Stadt“